Diese Frage stellt sich mancher Pferdebesitzer, wenn bei seinem Pferd Veränderungen an den Hufen erkannt werden oder Störungen im Bewegungsablauf auftreten, oder wenn sich z.B. der Hufschutz vermehrt einseitig abnutzt oder vorzeitig verloren geht.
Zum Verständnis der Wirkungsweisen der angewandten Huforthopädie muss man zunächst wissen, dass die Hufe zwei Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Das sind die physikalisch bedingten Vorgänge, welche infolge der Körperlast (ist gleich Bodengegendruck) tätig werden, sowie die allgemeinen biologischen Grundgesetze infolge der Einheit des Hufes mit dem Gesamtorganismus.
Die physikalischen Vorgänge
Sie sind zunächst für den natürlich stattfindenden Materialabrieb an dem Verschleißkörper der Gliedmaße, dem Huf zuständig, wodurch der rundum gleichmäßige und ständig stattfindende Hornwuchs – oder treffender Hornnachschub – ausglichen werden soll. Physikalisch bedingt ist aber weiterhin, dass ein gleichmäßiger Hornabrieb eine gleichmäßig auf den Huf verteilte Belastung durch die Gliedmaße erfordert. Eine Gleichmäßigkeit wie sie -trotz ihrer Vielfältigkeit- in der physikalisch bestimmten Natur zunächst per se nicht vorkommt.
Stattdessen bestimmen genetisch fixierte Prädispositionen und eventuell erworbene Veränderungen den Gebrauch der Gliedmaße und somit die Nutzung des Hufes und folglich die Abnutzung des Hufhorns. Es ist deshalb die natürliche Ungleichheit, bzw. die viel zitierte natürliche Schiefe ursächlich dafür, dass Hufe im Laufe ihrer Nutzung sich ungleich abnutzen und sich somit erworbene Schiefen einstellen. Hufschiefen, welche in der Folge miteinander und konträr zueinander hufdeformierende Kräfte entwickeln. Hinzu kommen die potenzierenden, vielfältigsten äußeren Einflüsse aus einem mit der domestizierten Pferdehaltung einhergehenden physischen Umfeld, welches den Bedürfnissen eines Einhufers in aller Regel nicht entspricht.
Die Einwirkungen auf den Huf infolge des Körpergewichtes (gleich Bodengegendruck) lassen neben dem oben beschriebenen ungleichen Verschleiß der Horne ebenfalls solche physikalisch bedingten Kräfte zur Wirkung bringen, welche geeignet sind, den Hornschub nach distal (unten) infolge zu hohen Bodengegendrucks entweder ausweichen zu lassen, ihn auszubremsen oder gänzlich zu blockieren. Die Folgen solcher Bodengegendrücke -welche die Trag- und Resistenzfähigkeit der Hufe überschreiten- sind ausweichende und/oder nach proximal anstauende Hufwände- und Hälften, da der Hornschub unter dem Bodengegendruck und auf Grund der dadurch wirksamen physikalischen Gesetzmäßigkeiten den Weg des geringeren Widerstandes einnimmt. Die Folgen bei einem Huf bei dem der Hornschub entweder ausgebremst wurde oder dem Bodengegendruck weichen konnte, sind zum einen der Verlust der korrekten Anbindung des Hufes an sein Hufbein und somit andererseits zugleich der Verlust der gleichmäßigen Gliedmaßen-Balance, mit negativen Auswirkungen auf die Gelenke der Gesamtgliedmaße.
Die biologischen Vorgänge
Der multipel in seiner Form veränderte Huf nimmt infolge der mit den Veränderungen einhergehenden und somit unphysiologischen Druck- und Hebelkräften erheblichen Einfluss auf seine inneren Strukturen.
Es werden Druck, Hebel- und Zugkräfte wirksam, welche insbesondere auf das der Hufwand unmittelbar benachbarte Hufbein nachhaltig einwirken und es zum Anpassen in den sich verändernden Huf veranlassen. Diese biologische knochenmorphogenetische Anpassung des Hufbeins in die sich verändernde Hufform ist die Grundvoraussetzung gegen z.B das Aufbersten einer Hufwand infolge einer erworbenen ein- oder beidseitigen Enge.
Tatsächlich haben auf den Hufbeinknochen einwirkende Kräfte, sowohl die drückende Kraft bei der zu engen, als auch die ziehende Kraft bei der zu breiten Hufhälfte, Einfluss auf den biologischen, mit dem Stoffwechsel einhergehenden und durch diesen bedingten Umbau der Knochenzellen während ihres Erneuerungsprozesses. Die von der Hufform abhängig generierten Drücke und Zugkräfte wirken auf den Hufbeinknochen auf die gleichen Arten und Weisen morphogenetisch (formgebend) wie die Kieferspange in der Kieferorthopädie. Beides geschieht nach dem biologischen Prinzip, dass nämlich auf einen Knochen einwirkende Drücke ihn im Umbau weichen lassen, während andererseits sein Umbau ebenfalls Zugkräften folgt.
Es sind deshalb bei dem Huf die mit der Kieferspangen-Wirkung vergleichbaren, morphogenetisch wirksamen Kräfte der Hufwände, die ein Hufbein entweder in der genetisch vorgesehenen Form erhalten oder analog zur erworbenen Hufschiefe zusätzlich eine gleiche Schiefe des Hufbeinknochens entwickeln, von welcher die Knochensäule insgesamt morphogenetisch bedingt ebenfalls betroffen ist.
So ist es einerseits einer Druck auf den Hufbeinknochen ausübenden Kraft zuzuschreiben, wenn ein Huf halbseitig enger bzw. schmäler wird, und andererseits einer auf den Hufbeinknochen einwirkenden Zugkraft geschuldet, wenn ein Huf halbseitig breiter wird. Da sich an ungleich belasteten Hufen stets eine ausweichende, breitere und eine enger und schmäler werdende Hufhälfte entwickelt, werden infolge der von den Hufwänden ausgehenden Hebel- und Druckkräfte an einem Hufbeinknochen beide morphogenetischen Kräfte wirksam.
Die angewandte Huforthopädie
Die Zusammenhänge der physikalischen Einflüsse des Hufes auf die biologischen Umbauprozesse namentlich des Hufbeinknochens machen deutlich, dass ein Huf ausschließlich dann zu seiner genetisch vorgesehenen Form zurück gebracht werden kann, wenn das Hufbein durch den Huf und die Kräfte die durch ihn generiert werden, dazu animiert wird. Wenn also die hufmechanischen Kräfte, welche das Hufbein zuvor deformierten, aufgehoben und sukzessive umgekehrt werden.
Zur Umkehr der verändernden Hufmechaniken ist ein Prozess erforderlich, welcher den Gleichklang der Umformprozesse des Hufes analog zum biologischen Umbauprozess des Hufbeins stattfinden lässt. Die Huforthopädische Rehabilitierung erworbener Fehlformen der Hufe und mit ihnen die der Gliedmaße erfordert deshalb ständiges und an den biologischen Umformungsprozess der Knochen orientiertes huforthopädisch wirksames Korrigieren des Hufes.
Die regelmäßig durchzuführenden huforthopädischen Korrekturimpulse müssen deshalb zeitlich an den Hornnachschub angepasst bleiben, weil erst hierdurch ein gesichert werdender und zeitgleich mit den biologischen Knochen-Umbauprozessen einhergehender Korrekturvorgang eingeleitet und beibehalten werden kann. Orientiert an diesen Vorgaben erfordert der biologisch korrekte Korrekturvorgang zeitlich an ihm orientierte und regelmäßige Behandlungsintervalle, sowie den hierfür erforderlichen Zeitrahmen. Multipel deformierte und eventuell erkrankte Hufe und Gliedmaßen können naturgemäß auch kürzere Behandlungsintervalle erforderlich machen, als die die üblichen korrekturpotenten vier Wochen zwischen den Hufbehandlungen, und ihr Heilprozess kann erst in einem der Problematik entsprechend längeren Zeitrahmen abgeschlossen werden.
Postnatal erworbenen Ungleichheiten des Hufes, von denen stets die Knochensäule insgesamt negativ betroffen ist, sind als die klassischen Einsatzgebiete der Huforthopädie zu bezeichnen. Indem durch ihre korrekten Anwendungen die identischen hufphysikalischen Kräfte zur Rehabilitierung genutzt werden, die naturgemäß an den Hufen auftreten, greifen die Anwendungen am Verursacher der Ungleichheiten mit dem Ziel direkt ein, den nachschiebenden Hufhornen den ursprünglich korrekten Weg wieder frei zu geben.
Die physikalische Korrektur der Hufe geht mit der biologischen Wiederherstellung der Gliedmaßen- Balance einher, sowie mit der Rehabilitierung der an den Gliedmaßen beteiligten Knochen und Gelenkebenen, und bedingt diese. Ein Umstand der der besonderen Beachtung bedarf, wenn über das rehabilitierende Potential der Huforthopädie nachgedacht wird. Dabei muss ebenfalls der Umstand bedacht werden, dass die durch Fehlformen der Hufe verursachten und multiplen Veränderungen an den Bewegungsorganen zunächst von den Pferden nicht wahrgenommen werden, und deshalb seine Bewegungsabläufe auch für den Betrachter nicht auffällig werden. Allerdings liefern die Hufzustände insgesamt deutliche Hinweise auf drohende und eventuell nicht mehr reversible Schäden, wenn diese nicht frühzeitig realisiert oder durch Korrekturschneiden oder sogenannte Korrekturbeschläge kaschiert werden. Unsere Falldokumentationen von huforthopädisch rehabilitierten Hufen machen deutlich, dass die Hufe der Pferde trotz der unterschiedlichsten erworbenen Fehlformen zu ihren bestmöglichen Formen zurückfinden können, wozu es meist nur der Entschlusskraft seines Besitzers bedarf.
Jochen Biernat
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